Arbeit gegen Rechts

2024 - 27.Januar - Das NEFF veranstaltet zusammen mit anderen Organisationen die jährliche Gedenkveranstaltung.

LINK zur Pressemitteilung auf Nordbayern.de 

 

Am 27.01.2023 fand das jährliche Gedenken an die Opfer des Naziregimes statt.
Die Rede hielt dieses Jahr Pfarrer Thomas Zeitler

Holocaustgedenken 2023

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2019 wurden in Nürnberg zum ersten Mal vier Stolpersteine für homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Einer davon war für Hans Stolle, Schauspieler, 44 Jahre, wohnhaft Am Maxfeld 17. Er kam 1935 ans Theater nach Nürnberg.  In einem der damaligen Homosexuellen-Treffs, dem Luitpold-Automaten in der Königstraße, fand er Kontakt zu einem 23jährigen Zahntechniker, der anderen von ihrer Beziehung erzählt haben muss. Denn kurz darauf wurde er wegen seines Schwulseins erpresst, dann an die Polizei denunziert. Die Vernehmungsbeamten versuchten in den Verhören, von ihm die Namen anderer Homosexueller herauszubekommen. Er aber verweigerte sich dem standhaft und beging, um dem bevorstehenden Prozess und allem, was danach kommen würde, zu entgehen, in seiner Zelle Suizid.

Nur eines von vielen Schicksalen. Und nicht mal eines, das in die Zählung der Geschichtsbücher eingegangen ist: Denn er gehörte weder zu den ca. 56.000 Männern, die nach § 175 zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden oder zu den geschätzten 6.000 - 10.000, die im Anschluss an die Haft ins KZ verbracht wurden, wo sie mit dem ‚rosa Winkel‘ markiert ganz unten in der Hierarchie der Insassen rangierten. Etwa die Hälfte von ihnen wurde ermordet oder kam ums Leben; hunderte wurden Opfer von medizinischen Experimenten wie Kastrationen.

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Es ist tatsächlich eine Opfergruppe mit ‚eigenem Profil‘, die in diesem Jahr zum ersten Mal im Mittelpunkt des offiziellen Gedenkens im Bundestag steht. Denn nur bei den Homosexuellen gibt es eine Einbettung in eine juristische Kriminalisierung und Stigmatisierung, die schon vor 1933 bestand und die nach 1945 nicht endete.

Der berüchtigte § 175 kam über preußisches Recht 1872 ins Strafgesetzbuch des neugegründeten Deutschen Reiches und bedrohte sexuelle Kontakte zwischen Männern mit bis zu 6 Monaten Gefängnis – jetzt auch in Bayern. Initiativen der Weimarer Zeit, den Paragrafen zu streichen, wären beinahe erfolgreich gewesen. Dann aber übernahmen die Nazis die Macht. Sie verschärften 1935 das Gesetz: auch beischlafähnliche Handlungen wie gegenseitige Masturbation, Zungenküsse, ja anzügliche Blicke, konnten bis zu 5 Jahre Gefängnis bedeuten! Und ein neuer §175a bestrafte erschwerte Fälle mit Zuchthaus. Das bezog sich auf Sex mit unter 21jährigen, mit Abhängigen und Schutzbefohlenen, auf Vergewaltigung und Prostitution.

Das Schlimme war: Nach 1945 blieb der §175 in der BRD bis 1969 in der Nazifassung in Kraft. Es gab nahezu gleich viele Verurteilungen wie zwischen 33 und 45, natürlich ohne Folter, Mord und KZ. In der DDR kehrte man immerhin zur Fassung vor 1935 zurück; es gab eine deutlich geringere Verurteilungsrate; und durch komplette Abschaffung des §175 zur Wendezeit gab die DDR den entscheidenden Impuls zur Streichung im wiedervereinigten Deutschland 1994.

Beschämend auch: die Anerkennung als Opfergruppe des Nationalsozialismus wurde lange verweigert und die Entschädigung auch der Nachkriegsopfer des §175 erfolgte erst im Jahre 2017! Das allgemeine Empfinden war: Homosexuelle waren als Kriminelle und Sittlichkeitsverbrecher ZU RECHT verurteilt. Die Empathie hielt sich in Grenzen. Das Versteckspiel ging weiter. Erst die Schwulenbewegung der 70er und 80er Jahre hat begonnen, diese Tabus aufzubrechen und eine eigene Gedenkkultur von unten zu beginnen. Die Geschichtswissenschaft zog dann erst nach.

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Im Lauf der Forschung ergaben sich einige bemerkenswerte Einsichten, lösten auch schwierige Debatten aus, die bis heute anhalten:

Zuerst einmal: Es gab keinen ‚Homocaust‘. Anders als bei den aus ‚rassischen Gründen‘ verfolgten Jüdinnen und Juden oder Sinti und Roma gab es nicht das Ziel einer vollständigen Eliminierung. Das zeigt sich auch an den dann doch begrenzten Opferzahlen im Vergleich zur Zahl der Schwulen und Lesben an der Gesamtbevölkerung. So schlimm jedes einzelne Schicksal auch gewesen ist. Überleben war möglich. Wenn auch um den Preis des Versteckspiels und der Selbstverleugnung.

Ziel der Nazis war das Zurückdrängen von Homosexualität durch Zerstörung der Subkultur (schon gleich ab 1933), die Abschreckung durch Verschärfung des §175 und die anschließenden Verfolgungswellen und die Erstellung von Rosa Listen.

Ideologischer Kern - und so von Himmler immer wieder explizit benannt - war die Reinhaltung und der Schutz des männlichen und mannhaften Volkskörpers vor Dekadenz und Verweichlichung, insbesondere in den männerbündischen Strukturen von Partei und Militär. Und befeuert wurde dieser Kampf durch die Instrumentalisierung im politischen Kampf, wie bei der Ausschaltung des homosexuellen Konkurrenten Hitlers, Ernst Röhm als Führers der SA 1934. Oder in der Diffamierung von Priestern und Ordensangehörigen der schwer gleichzuschaltenden Katholischen Kirche als Kinderschänder. 

Die Phantasien und Ängste drehten sich v.a. um die Ansteckungsgefahr und Verderbnis der Jugend. Und so wurden v.a. viele Männer nach einer Gefängnisstrafe nach §175a oder ‚Wiederholungstäter‘ in die KZs überstellt. Und ja: dabei waren Päderasten und schwule Nazis. Was eine pauschale Idealisierung der Opfergruppe zumindest schwierig macht.

An dieser Stelle lohnt eine Erinnerung an Hans Scholl, den mutigen Widerstandskämpfer der Weißen Rose. Er war als 19jähriger wegen sexueller Betätigung mit einem anderen 17jährigen Hitlerjungen nach §175a angeklagt. Und nur durch Glück wurde das Verfahren eingestellt. Eine erste Konfrontation mit dem repressiven Charakter des NS-Systems; und ein Schritt auf seinem Weg zum Widerstand. Aber leider auch eine Erfahrung, die dazu führte, dass er seine homosexuellen Neigungen versuchte mit dem christlichen Glauben zu bekämpfen.

Kompliziert wird es auch, wenn heute gerne von einer ‚queeren‘ Opfergruppe gesprochen wird. Ist es ja ein sehr junger Begriff, den damals niemand für sich zur Selbstbezeichnung gewählt hätte. Auch schwul und lesbisch treffen es nicht immer sauber. Folgen wir also den Kategorien der Nazis? Dann wäre eine explizite Verfolgung nur bei homosexuellen Männern zu konstatieren. Aber andere ‚Queers‘ waren auch von staatlicher Verfolgung betroffen:

Transidente Menschen fielen dann oft unter die Fremdwahrnehmung als Homosexuelle. Lesbischer Sex war zwar nicht strafbar (was auch sexistischer Ausdruck des Männlichkeitswahn der Nazis war); aber Verfolgung fand statt, dann aber unter dem Stigma und Vorwurf der Asozialität oder Prostitution. Überhaupt beginnen wir erst, Verfolgung intersektional zu denken: denn gerade unter der großen Zahl der rassisch Verfolgten waren auch viele Queers, die als solche nie sichtbar geworden sind. Und wir haben erst einzelne berührende Schicksale von Liebe in Zeiten der Verfolgung, im KZ und im Widerstand vor Augen! Eine systematische Erforschung steht noch aus.

 

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Werfen wir noch einen Blick in die Gegenwart:

Bei uns führten die Erfolge der Schwulen- und Lesbenbewegung zur Entkriminalisierung und zu rechtlichem Schutz vor Diskriminierung und in unseren Lebensformen. Aber das alte Stigma wirkt noch weiter, insbesondere gegenüber Menschen, die sich nicht in die Unauffälligkeit eines heteronormierten Auftretens und einer bürgerlicher Lebensweise begeben! Das sind oft unsere Trans-Geschwister oder Menschen mit nichtbinären Identitäten.

Jenseits unserer Grenzen bleibt die Situation aber oft erschreckend: Homosexualität ist in 69 Ländern weiterhin strafbar, in 11 mit der Todesstrafe bedroht. Und zunehmend wird versucht, uns nach der Liberalisierungswelle wieder unsichtbar zu machen: mit Gesetzen gegen angebliche ‚Homo-Propaganda‘ wie in Ungarn oder Russland. Aber auch in den USA bei den dortigen Auseinandersetzung um Repräsentanz queerer Lebensweisen in den Lehrplänen von Schulen. Und auch in Brasilien spielt Bolsonaro mit alten Ängsten vor Dekadenz und Verführung. Oft nicht weit entfernt von den Stereotypen, die auch die Nazis bei uns bedienten und ‚kultivierten‘.

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Erinnern heißt also weiterkämpfen!

2017 war ich mit einer bunten queeren Gruppe im KZ Sachsenhausen zu einem Gedenkbesuch: dabei auch jüdische Israelis, Transpersonen. Es flossen Tränen, von allen. Die Nazigräuel sind und bleiben traumatischer Bezugspunkt, auch international, für Dissident*innen sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität! Und damit Bezugspunkt im Kampf um Anerkennung und gleiche Rechte! Es gilt wie bei anderen Verfolgtengruppen auch, keine Opferhaltung zu kultivieren! Sondern selbstbewusster Teil der Gesellschaft zu sein. Und des gegenwärtigen Antifaschismus!

Wir wissen zum Glück auch um schwule Widerständler: Der holländische Künstler Willem Arondeus war beteiligt beim Bombenanschlag auf das Amsterdamer Einwohnermeldeamt, um den Nazi-Besatzern die Identifizierung von Jüdinnen und Juden zu erschweren. Kurz nach dem Ereignis wurde er verhaftet und 1943 hingerichtet. Seine letzten Worte waren: „Lasst die Welt wissen, dass Homosexuelle keine Feiglinge sind!“

 

Heute ist eine gute Gelegenheit dazu, daran zu erinnern! Und ja, wir sollten Verführer der Jugend sein: Nämlich sie verführen zu einem Leben zu führen ohne Angst vor Vielfalt! Und zum Durchbrechen der Rollen. Zu Freiheit, Spiel und Individualität! Denn das ist es, was Faschisten hassen. Bis heute.

 

Thomas Zeitler

 

Nie wieder Faschismus in Nürnberg!

Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen. Spätestens seit Anfang der 90er Jahre gingen wir gegen die rechten Anschläge in Deutschland auf die Straße.

Gräfenberg, Bamberg, Nürnberg, Scheinfeld, Obertrubach, ????….  immer wieder haben wir gegen die Aufmärsche, Konzerte und Machenschaften der extrem Rechten demonstriert.

Die Morde des NSU haben uns verstört und beschämt. Bereitwillig glaubten wir an mafiöse Strukturen und wähnten uns nicht in der Zielgruppe. Erst nach der Selbstenttarnung des NSU erkannten wir die wahre Dimension der rechten Gewaltstrukturen und die Notwendigkeit auf allen Ebenen dagegen zu arbeiten.

Der Mord an Regierungspräsident Lübcke, der Anschlag in Halle und der Einzug einer neuen rechten Partei in die deutschen Parlamente machen die Dringlichkeit der Arbeit gegen Rechts deutlich.

Neben dem Widerstand auf der Straße ist die Erinnerungsarbeit ein wichtiger Teil unserer Arbeit gegen Rechts.

So gestalten wir zusammen mit der VVN/BdA in jedem Jahr ein öffentliches Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am Holocaust-Gedenktag, der an die Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 erinnert.

 

Gedenken an die Zwangsarbeiter*innen

Zwangsarbeiterdenkmal am Plärrer

Foto: Zwangsarbeiterdenkmal am Plärrer

Jeden November gedenken wir zusammen mit Pax Christi am Mahnmal auf dem Südfriedhof der Zwangsarbeiter*innen, die in Nürnberg unter unwürdigen Bedingungen arbeiten mussten und von denen viele ihr Leben dadurch verloren haben.